Warum wurde der einst größte Flughafen der Welt mitten in einer Wildnis gebaut?
Die Antwort ist ganz einfach.
Gander International Airport befindet sich auf der Insel Neufundland im Nordosten von Kanada.
Der Flughafen wurde in den 30er Jahren nördlich des Gander Lake gebaut, ungefähr 60 km westlich der Küste, die oft in Nebel liegt. Dort gab es auch eine Eisenbahnlinie.
Die Reichweite der damaligen Maschinen war für Direktflüge zwischen Europa und Nordamerika nicht genug. Sie mussten einen Zwischenstopp einlegen und auftanken. Gander und auch der irische Flughafen Shannon wurden zu wichtigen Sprungbrettern über den Atlantik.
Beide Flughäfen liegen auf der Route zwischen Nordwesteuropa und Nordostamerika. Es war die kürzeste Verbindung zwischen den beiden Kontinenten.
Die Bauarbeiten begannen im Juni 1936. Damals war Neufundland ein selbstverwaltetes britisches Dominion. Die Stadt Gander entstand als Wohnort für die Bauleute und die Flughafenmitarbeiter.
Das erste Flugzeug landete am 11. Januar 1938. Im November des gleichen Jahres wurde der Betrieb aufgenommen. Vier gepflasterte Flugpisten wurden gebaut, die längste mit Namen 03/21, mit einer Länge von 10.200 Fuß oder 3109 Metern. Gander wurde schnell nach seiner Eröffnung zum größten Flughafen der Welt.
Im Zweiten Weltkrieg war die Station Gander der Royal Canadian Air Force von großer strategischer Bedeutung. Am 10. November 1940 flogen sieben amerikanische Militärflugzeuge einen Testflug von Gander nach Belfast. Alle sieben Flugzeuge landeten dort ohne Probleme.
Danach flogen mehr als 20.000 Kampfflugzeuge von den USA mit einem Tankstopp in Gander nach Europa.
Nachschub wurde nach Großbritannien und an die europäische Front gebracht.
Ungefähr 20.000 Menschen der US-Air Force lebten rund um die Flugbasis.
Nach dem Krieg wurden die Lokalbehörden für den Flughafen wieder zuständig.
Es dauerte nicht lange, bis der zivile Flugverkehr aufgenommen wurde.
Damals war das Fliegen riskant. Die strengen Sicherheitsstandards von heute gab es nicht. Trotz der Risiken wollten immer mehr Leute fliegen. Bald machten die großen Propellermaschinen von BOAC, Pan Am und TWA den Flug über den Atlantik.
Damals konnte die Reise von London nach New York bis zu 18 Stunden dauern.
Gander wurde zum Knotenpunkt der kommerziellen Luftfahrt „Crossroads of the World“ – „Kreuzung der Welt“ war der Slogan.
In den 50er Jahren landeten und starteten jährlich am Flughafen Gander 13.000 Flugzeuge, bzw. 250.000 Passagiere.
Die Fluggäste waren zu dieser Zeit oft Privilegierte, Filmstars und führende Politiker. In den Boomjahren kamen die Schönen und Berühmten in die improvisierte Abflughalle, tranken Cocktails und wurden fotografiert. Clark Gable, Marilyn Monroe, John Wayne, Elizabeth Taylor und Winston Churchill waren Besucher in Gander.
Am 29. Juni 1959 wurde ein neues Terminal von der Queen eröffnet, aber die Boomjahre sollten bald enden. Die DC4, Stratocruiser und Constellations der vierziger und fünfziger Jahre wurden schnell überholt.
Die Boeing 707 revolutionierte den transatlantischen Flugverkehr.
Diese Düsenmaschine hatte eine Reichweite von 8000 Kilometern und konnte den Atlantik direkt von London nach New York in nur acht Stunden zurücklegen.
So nahm das Verkehrsaufkommen von Gander in den sechziger Jahren schnell ab, aber der Flughafen war für militärische Zwecke noch wichtig.
1964 wurde Jack James Geschäftsführer des Flughafens. Nicht nur arbeitete er hier, er wohnte hier. Der Flughafen war sein Leben. Er widmete sich dem kommerziellen Erfolg von Gander.
In den späten sechziger Jahren zielte er auf die Ostblockstaaten. Ihre Tupolews und Iljuschins verbrauchten zu viel Treibstoff für längere Flüge.
Sie flogen regelmäßig zum kommunistischen Kuba hin und zurück. Die Flugzeuge der Aeroflot und der DDR-Fluggesellschaft Interflug wurden zu regelmäßigen Besuchern in Gander.
Aeroflot kam mit ungefähr 60 Flügen pro Woche. Die Crews wurden in Gander stationiert. Die Ostblock-Airlines eröffneten Büros am Flughafen oder in Gander.
Ostblock-Staatschefs wie Breschnew und Honecker wurden vom Flughafendirektor persönlich begrüßt. Fidel Castro erlebte in Gander sein erstes Winterwunderland als er als Gast der Flughafendirektion im Schnee auf einem Schlitten rodelte.
Die kommunistischen Machthaber waren die neuen Privilegierten am Flughafen, aber ihre Untertanen sahen hier eine Fluchtmöglichkeit.
Nach dem Landen kamen die Passagiere immer ins Terminal, während das Flugzeug aufgetankt wurde. Der Warteraum gehörte offiziell nicht zu Kanada, aber wenn ein Reisender in Kanada bleiben wollte, war es möglich.
Man konnte zu einem Mitglied des Sicherheitspersonals gehen und einfach die Worte ‘Save me’ sagen. Das bedeutete, dass die Person um politisches Asyl bitten wollte. Ab diesem Moment wurden sie von den kanadischen Behörden übernommen. Die Sicherheitspolizisten des jeweiligen kommunistischen Landes konnten nichts tun.
Im Dokumentarfilm „Gander, der Flughafen am Ende der Welt“, von Roland May erzählt Wolfgang Jörn aus Neubukow in der DDR, wie er und seine damalige Freundin von Berlin-Schönefeld nach Kuba flogen. Sie hatten sich aber schon vorher entschieden, nicht mehr in ihre sozialistische Heimat zurückzukehren.
Er beschreibt, wie er auf dem Rückweg aus der Interflug-Maschine in Gander ausstieg und in den Wartesaal kam. Er hatte seine Tasche vom Flugzeug mitgebracht. Seine Freundin ging zum Sicherheitsbeamten und sagte ‘Save me’.
Glücklicherweise waren er und seine Freundin erfolgreich. Er lebt noch in der Nähe von Toronto und im Jahre 2018 ging er zum ersten Mal seit 30 Jahren zu seiner Heimatstadt zurück.
Als am Anfang der 90er Jahre das Ende des Kommunismus kam, mussten die Ostblock-Airlines ihre Büros schließen. Es war für die Mitarbeiter auf beiden Seiten eine traurige Zeit.
Das Flugzeug ist das sicherste Transportmittel. Das wissen wir schon. Das letzte schwere Flugzeugunglück in der Nähe von Gander ereignete sich in den 1980er Jahren.
Eine gecharterte Douglas DC-8 der Arrow Air machte am 12. Dezember 1985 einen Tankstopp in Gander. Sie brachte US-Soldaten der Sinai-Friedenstruppe nach Fort Campbell, Kentucky. Nach dem Start kam es zu einem Strömungsabriss und das Flugzeug stürzte ab. Alle 256 Menschen an Bord kamen ums Leben.
Vermutliche Ursache: Eis auf den Tragflächen.
Es gab zwei andere schwere Flugzeugunglücke in der Nähe von Gander: Eine tschechoslowakische IL-18 im Jahre 1968 und eine DC4 der Sabena, 1946.
In den 1990er Jahren kamen immer weniger internationale Airlines zum Flughafen Gander. Seine Zukunft schien unsicher, bis im Nordosten der USA eine unvorstellbare Tragödie eine Krise auslöste.
Am 11. September 2001 wurden nach den Terroranschlägen 39 Flugzeuge nach Gander umgeleitet. 6122 Fluggäste und 473 Crewmitglieder waren dort gestrandet und mussten viele Stunden im Flugzeug warten.
Dann wurden die Passagiere von den ungefähr 10.000 Bewohnern der Stadt Gander aufgenommen. Sie wurden wie Familienmitglieder behandelt. Die Gäste und ihre Gastgeber wurden zu engen Freunden. Als es Zeit war weiterzufliegen, nahmen viele mit Tränen Abschied.
Als Würdigung dazu nannte die Lufthansa 2002 ihren neuen Airbus A340 „Gander/Halifax“.
Heutzutage landen nicht viele Flugzeuge in Gander, aber 10.000 Meter in der Höhe überfliegen an einem normalen Tag etwa 1500 Flugzeuge Neufundland.
Das Kontrollzentrum der kanadischen Flugsicherung für Kanada und den Nordatlantik, Nav Canada, befindet sich nicht weit vom Flughafen und ist ein wichtiger Arbeitgeber in der Region.
Gander International Airport ist heute ein Flughafen für kleine Passagierflugzeuge, Privatjets, für einige regionale Airlines, für Frachtflugzeuge und Militärmaschinen.
Es befindet sich hier eine wichtige Flugschule, Gander Flight Training. Sie geht auf das Jahr 1992 zurück, als der Gründer Patrick White eine Cessna 150 kaufte und als Flugtrainer begann.
Heute bietet die Schule eine breite Palette von Flugkursen. Studenten kommen aus Kanada und aus dem Ausland um hier ihre Pilotenausbildung zu machen.
Mit seiner langen Tradition im Luftverkehr beweist Gander seine Leidenschaft für das Fliegen.
Die Menschen hier sind von Flugzeugen und vom Fliegen fasziniert.
Das macht Gander zu einem idealen Ort für Flugtraining. Neufundland ist ein kalter und manchmal nasser Ort mit Schnee, Eis und Wind. Viele Leute weltweit sagen, wenn man hier das Fliegen lernt, kann man überall auf der Welt fliegen.
Aber der Flughafen Gander hat, wie sein Schwesterflughafen Shannon, auch eine wichtige Rolle als Notlandeplatz für Flugzeuge, die über dem Atlantik in Schwierigkeiten geraten.
Das Coronavirus brachte 2020 neue Herausforderungen für Gander und alle anderen Flughäfen. Gander International Airport hat in der Vergangenheit schon viele Höhen und Tiefen erlebt.
Hoffentlich bleibt die Existenz dieses historischen Flughafens auch in der Zukunft sicher.